Jedes meiner Fahrräder hat seine ganz eigene, individuelle Entstehungsgeschichte – meist verbunden mit einem langwierigen Prozess, in dessen Verlauf nicht nur Fragen nach den Komponenten, dem Material und dem Einsatzgebiet aufkommen, sondern oftmals auch unerwartet viel persönlichere, manchmal überraschende Erkenntnisse zutage gefördert werden. Ein mechanisches Objekt, eigentlich unübertroffen in simpler Perfektion, man könnte meinen, das wäre trivial, technisch, kalkuliert.
Doch am Ende steht manchmal etwas ganz anderes da, als man sich beim ersten Gedanken an ein neues Fahrrad ausgemalt hatte.
Ich habe einen Diamanten auf meinem Bein, ein Tattoo, ein halbwegs ironischer Schriftzug „self made“ darunter - denn, na klar, die Beine einer Radfahrerin sind natürlich ein ordentliches Stück selbstgemacht, Muskeln, die einen über tausende Kilometer tragen, unter sengender Hitze , durch Regen, Kälte, gegen den Wind treten, manchmal nicht so wollen wie der Kopf, manchmal dreckig, müde, schwer, von Dornen zerkratzt, mit blauen Flecken marmoriert, manchmal stark und mit stolzen Tanlines gekrönt – und immer: selbstbestimmt.
Doch es geht natürlich auch noch ein bisschen darüber hinaus, denn vieles an der Art, wie ich das Radfahren für mich entdeckt habe, war und ist „selbstgemacht“.
Die ersten 200km, eine eigene Route, allein.
Das erste Ultra - Rennen, allein.
Die Nachtfahrten, die endlosen Pässe in sengender Hitze, die Reparaturen, die Motivation – selbstgemacht.
Und abgesehen davon, weiß ich gar nicht, wie es ist, ein Fahrrad „von der Stange“ zu kaufen. Für mich gab es immer bloß Rahmen, Gabeln, Kurbeln, Felgen, Schalthebel, Lenker, Vorbauten, Spacer, Sattelstützen, Pedalen und all die anderen kleinen Einzelteile, über deren Existenz man sich erst bewusst wird, wenn man zum ersten Mal ein ganzes Fahrrad selbst zusammenstellt.
Und was hat das alles nun mit meinem neuesten Fahrrad zu tun?
Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Auch mein Vpace C4M Hardtail Aufbau entstand aus Einzelteilen, die ich selbst ausgewählt habe. Aber das vielleicht allerschönste an diesem Rad ist, neben dem mattschwarzen, eleganten Carbonrahmen, vor allem die Entstehungsgeschichte in deren Verlauf das vielleicht manchmal etwas sture „selfmade“ gegen den Community Gedanken getauscht wurde und das Ganze zu mehr als nur einem Rad Aufbau wurde – in erster Linie durch all die tollen Menschen, die mich mich dabei unterstützt haben und meinen Traum von einem Bikepacking Mountainbike ein kleines Stückchen mitgeträumt haben.
Zunächst sah es nicht gut aus für meinen Plan, 2024 off-road durchzustarten.
Mason, die mich seit 2022 mit Fahrradrahmen unterstützen, waren selbst grade in der akuten Planungsphase eines neuen Bikepacking Hardtails – allerdings deckte sich die Umsetzung zeitlich nicht mit meinen Events für 2024 und auch ein alternatives Leihrad aus dem Hause Mason war leider keine Option.
Nach einigen Gesprächen war klar, dass wir im Fall meiner off-road Pläne getrennte Wege gehen mussten. Das kam für mich unerwartet und es folgten einige Wochen, in denen ich nicht mehr so recht an die Umsetzbarkeit meiner Vorhaben glaubte. Schon seit 2023, als ich auf den 2. Platz der Frauenwertung beim Race Around Rwanda fuhr, zeichnete sich ab, dass meine Stärken eher auf den weniger asphaltierten Wegen lagen. Diese Beobachtung wurde daraufhin beim eigentlich asphalt-orientierten Transcontinental 2023 noch bestätigt, wo mir ganz besonders die von vielen verhassten gravel Parcoure gefielen, die ich dank 38er René Herse Barlow Pass/35er Bon Jon Pass sicher befahren konnte.
Es war also klar: Mein nächstes Rennen sollte weniger Asphalt und mehr Trails beinhalten. Doch mit meinem ungefederten Gravelbike schienen Rennen wie das Hope 1000 nicht bestreitbar. Zu klar waren noch die Eindrücke der harten, steinigen Singletrails Ruandas, auf denen ich mir bereits etwas mehr Suspension und leichtere Gänge gewünscht hatte. Ein Mountainbike schien der nächst logische Schritt in meiner Entwicklung als Radfahrerin zu sein.
Jedoch, ein komplettes Rad zu kaufen, kam für mich zu diesem Zeitpunkt nicht in Betracht, daher fragte ich zunächst herum, ob jemand mir ein Mountainbike leihen könnte. Eigentlich rechnete ich kaum mit ernsthaften Rückmeldungen, immerhin sollte der Einsatzbereich im ultracycling liegen, was bekanntermaßen eine Bewährungsprobe für Mensch und Material darstellt. Doch ich wurde sofort positiv überrascht. Selbst, wenn die angebotenen Räder teilweise zu groß waren – es war wahrscheinlich der Funken Hoffnung, der mir in den Wochen zuvor gefehlt hatte, der dadurch wieder reaktiviert wurde. Sogar Menschen, die mich gar nicht kannten, boten mir über gemeinsame Freunde ihre Räder an – und plötzlich wurde aus „selfmade“ - „das bekommen wir schon hin“.
Eigentlich war ich gar nicht direkt auf der Suche nach einem neuen Radsponsor, doch durch die Unterstützung der guten Seele der Radindustrie, Goetz von Dailybreadcycles, hatte ich eines schönen Morgens Sören Zieher von VPACE Bikes am Telefon. Ich hatte bereits in den Wochen zuvor mit dem C4M Carbon Rahmen geliebäugelt – zu einem Zeitpunkt, wo dieser noch in vollkommen unrealistischen Fernen lag und eher so etwas wie eine „wenn ich mir ein Rad aussuchen könnte“ Phantasie war.
Nach einem sympathischen Telefonat mit Sören war klar, dass wir ähnliche Vorstellungen hatten, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte und so lag bald schon der Rahmen meines Traum-Hardtails in meinem Wohnzimmer. Abgesehen von der Fox Federgabel, einem Steuersatz und Innenlager, die ich bei VPACE zu einem guten Preis erwerben konnte, sowie dem Rahmen, der mir großzügigerweise zur Verfügung gestellt wurde, benötigte ich natürlich noch einige andere Komponenten. Fabian, der mir bereits zuvor sogar sein eigenes Rad leihweise angeboten hatte, schickte mir seine gut erhaltene SLX-Gruppe – eine Geste, die so viel mehr als nur die materielle Seite dieser Entstehungsgeschichte beschreibt. Zu wissen, dass man Teil einer Community ist, die aus Menschen besteht, die nicht nur ihre eigene Freude am Radfahren kennen, sondern diese auch wo es nur geht, teilen, das hat mich tief bewegt.
Idealerweise ist der Aufbau eines Mountainbikes deutlich einfacher, als der eine Rennrads – da jedoch viele Teile ein komplett neues Metier für mich waren, war ich froh um die Tipps und Beratung durch etliche Bikenerds auf Instagram, sowie den langjährigen Mechaniker meines Vertrauens, Christian vom Spandauer Fahrradhaus und das VPACE Team.
Nicht zuletzt war, wie immer, auch mein Partner Ronny maßgeblich am Aufbau und Akt des Zusammenschraubens der Einzelteile beteiligt.
Was fehlte noch? Ein Paar gute Reifen!
Selbstverständlich wurden es wieder smooth rollende Pneus aus dem Hause René Herse – dank Goetz von Dailybreadcycles, ohne den dieses Fahrrad wohl ohnehin nicht verwirklicht worden wäre.
Und nun?
Gerade komme ich zurück von meinem ersten Overnighter mit dem inzwischen schon gut eingefahrenen Mountainbike. Natürlich, wie sollte es anders sein, in meiner gefühlten Herzens-Heimat, der Rhön. Seit einigen Jahren mein bevorzugtes Trainingsareal, bietet die Gegend um das Drei-Ländereck Thüringen, Hessen & Bayern nicht nur traumhafte Straßen durch die Mittelgebirgskette der Rhön, sondern auch schier endlose Optionen das neue „Offroadmaschinchen“ gebührend in seinem Element zu feiern.
Im Juni steht dann mein erstes „richtiges“ Selfsupported Mountainbike Rennen, das Hope 1000 an. Mit fast 30.000 Höhenmetern auf 1000km stellt es sogar das höhenmeterlastige Mittelgebirgeclassique, welches ich 2021 erfolgreich gefahren bin, in den Schatten. Es ist wieder mal eine dieser verrückten Ideen, bei denen ich mich wahrscheinlich zu irgendeinem Zeitpunkt unweigerlich fragen werde: Warum tue ich mir das an?
Aktuell überwiegt jedoch noch die Vorfreude darauf, die Schweizer Berglandschaft mal aus einem anderen Blickwinkel, eben einem mit mehr Schotter, Wiese und Dreck, zu erleben.
Die Gegend um Grindelwald, die Große Scheidegg sind mir noch aus dem Three Peaks Bike Race 2021 in eindrucksvoller Erinnerung – der „Wintereinbruch“ mit Schnee im Juli war legendär und meine Nachtfahrt auf den Gipfel des Männlichen definitiv eine dieser bereits oben angesprochenen Ideen... Hier die Geschichte dazu, hoffen wir, dass das Wetter dieses Jahr etwas freundlicher wird und meine Entscheidungen, was Nachtfahrten angeht, weiser. ;)
Da es sich beim Hope 1000 um ein self-supported Event handelt, wird es naturgemäß viele „selfmade“ Momente enthalten – getragen vom Spirit, den dieses Fahrrad in sich trägt:
Wir kriegen das schon hin.
Comments